Die letzten Tage in Thailand verbrachte ich in der nördlichsten Grossstadt, Chiang Rai. Chiang Rai ist der kleinere, entspanntere, aber auch roughere Bruder von Chiang Mai. Die Stadt ist nahe an der burmesischen und laotischen Grenze und damit kulturell und klimatisch sehr weit weg von den Stränden und Resort-Orten des tiefen Südens. 



Diese Einflüsse merkt man an der Architektur, die mich an den Bangkoker Chinatown erinnert, inklusive zahlreiche rotgefärbte Läden, die Gold an- und verkaufen. Viele Einwohner haben ethnische Wurzeln in den Bergvölkern, deren Heimat keine Landesgrenzen kennt und sich über die Gebirgsketten hin in die Nachbarsländer erstreckt. Dazu kommen viele Burmesen, die sehr verständlicherweise vom Schabernak der Militärdiktatur in Myanmar geflohen sind. Eine spannende historische und soziale Mischung also. 



Die Wahrheit ist, am ersten Tag fand ich Chiang Rai wüst. Und am zweiten Tag auch. Ich war zum ersten Mal auf meiner Reise uninspiriert von einem Ort. Die Stadt war nicht einladend, und alles schien verlassen und schäbig. Die Wahrzeichen der Stadt sind zwei Tempel, ein blauer und ein weisser, die in den späten 90er gebaut wurden. Also den 1990er. Ich dachte zuerst, das Datum müsste im thailändischen Kalender geschrieben sein. Dieser beginnt 543 Jahre vor unserem, was die Tempel auf 1454 datiert hätte. Aber nein. Die Tempel sind jünger als ich. Und sie sind komplett bizarr. Psychedelische Monstrositäten, zwischen Achterbahn und Gift Shop Architektur. Das ganze Gelände ist angelegt wie ein Buddha-Themepark. Alles ist maximaler Kitsch.



Die Stadt hinterliess also einen schlechten Eindruck, muss ich sagen. Ich habe aber trotzdem eine Woche dort verbracht. Was eigentlich niemand macht. Die meisten Touristen bleiben maximal 2 Tage und hauen dann ab, nach Chiang Mai oder Laos. Aber ich bin froh, dass ich mir die Zeit genommen habe, denn mein Eindruck von Chiang Rai hat sich komplett geändert.


Wer meine Reisetimeline anschaut, sieht, dass ich generell viel Zeit in den Städten verbringe. Denn ich finde, es braucht Zeit, um eine Stadt zu verstehen, mindestens 5 Tage, besser eine Woche. Zu verstehen, wann welche Viertel belebt und wann tot sind, wie der Verkehr funktioniert, wo und wie die Locals essen, und wo die nervigen 20-jährigen Backpacker hocken.



Ein Beispiel: ich kam mit dem Bus in Chiang Rai an, um 14 Uhr. Ich latschte in der Nähe des Busterminals rum, um einen ersten Eindruck der Stadt zu bekommen. Die Sonne ohrfeigte mich, es war heiss und staubig, die Läden waren zu, niemand auf der Strasse. Keine gute Zeit. Ein paar Tage später besuchte ich dieselbe Gegend nochmals. Zu dem Zeitpunkt hatte ich bereits besser gecheckt, wie Chiang Rai funktioniert. Und dieselbe Strasse sah ganz anders aus. Ich merkte: Das Busterminal befindet sich ja direkt neben dem grossen Markt, der nur abends offen ist. Und dahinter ist jenes Café mit dem geilen Café Latte. Generell hab ich gelernt, zwischen 12 und 16 Uhr nichts zu machen, was Aktivität draussen beinhaltet, weil es zu heiss ist und sowieso die ganze Stadt Siesta macht. Südwestlich des eigentlichen Zentrums gibt es wie ein zweites Zentrum der Locals, das viel witziger und belebter ist. Solche Sachen findet man erst nach vier, fünf, sechs Tagen raus. Und es macht mir viel Spass, Städte und Städtchen auf diese Weise, langsam, zu entdecken. Und mir gefällt es, dass sich nach ein paar Tagen in derselben Stadt eine gemütliche Routine einsetzt, so als würde ich dort wohnen und so, als wäre es permanent Sonntag.


Ich bin aber nicht nur in der Stadt rumgehangen, sondern ging auch wandern. Zwei Hikes westlich von Chiang Rai komplettierten die gut 100km, die ich im Norden Thailands abgelaufen bin. Es waren ziemlich wilde Routen, zu abgelegenen Wasserfällen und durch Bergdörfer, die von Kaffeeplantagen umgeben sind (und gemäss den irritierten Blicken der Einwohner wenige Farangs zu Gesicht bekommen).



Noch eine letzte Anekdote, bevor ich diesen zu langen Blogpost abschliesse: Auf dem Weg zu einem Wasserfall, der so abgelegen war, dass er weder auf Google Maps noch meiner Hiking App eingezeichnet war (gute Idee dort hinzulaufen gell!!), traf ich einen Bauern, der auf dem Weg zu seiner Kaffeeplantage war. Der Typ hiess Kong, sprach erstaunlich gut Englisch, und war verdammt witzig. Er nahm mich mit seinem Motorrad ein Stück mit, fragte mich dann aber, ob ich lieber seine Plantage sehen und bisschen bei der Ernte helfen möchte. Natürlich!



Wir kletterten die Hänge hoch zwischen den Kaffeesträuchern und Kong zeigte mir die Kaffeebeeren und wie man sie liest. Ich hatte keine Ahnung, dass jede einzelne Kaffeebohne, die ich in meiner langen und illustren Karriere als Grossverbraucher von Kaffeegetränken konsumiert habe, einzeln und von Hand gepflückt wurde! Crazy. Auch wusste ich nicht, dass man Kaffeebeeren frisch essen kann, und dass das Fleisch süss ist. Und es gibt viele Parallelen zum Weianbau: die Beeren brauchen warme Tage und kalte Nächte, um eine optimale Balance zwischen Zucker und Säure zu bekommen. Daher eignen sich höhere Lagen in Ländern mit warmem Klima und Sonne - so zwischen 1000 und 2000 Meter über Meer. Und sie brauchen Sonne, aber nicht zu viel. Eine östliche Ausrichtung des Hangs sowie Schatten von den tiefgrünen Blättern des Strauchs helfen, dass die Beeren nicht verbrennen aber trotzdem ihre schöne dunkelrote, reife Farbe erreichen. 


Diese spontane Bekanntschaft mit Kong war definitiv ein Highlight meiner bisherigen Reise. Nicht zuletzt weil der pummelige Kong sich selber als fauler Bauer bezeichnete, und er und sein Bruder (ebenfalls faul) sehr regelmässig längere Pausen zwischen den Sträuchern machten, so dass an diesem Tag nicht wahnsinnig viele Beeren geerntet wurden.